Maloja - Good Morrow - Summer 2024 - Neue Talente und alte Träume
21. November 2024

Neue Talente und alte Träume

Lange dauert es nicht mehr, bis sich die Athletinnen und Athleten der Biathlon-Welt dem ersten Wettkampf der Saison stellen. Im finnischen Kontiolahti steht endlich wieder der wahnsinnige Wechsel zwischen Sprint und absoluter Konzentration beim Schießen an. Knapp 200 Kilometer nördlich davon hat sich die Nationalmannschaft der Vereinigten Staaten in Vuokatti zum letzten Feinschliff und Stimmungstest versammelt. Eine Geschichte über hohe Erwartungshaltungen, dem Geruch von Wachs und einer Extraportion Motivation.

Lange dauert es nicht mehr, bis sich die Athletinnen und Athleten der Biathlon-Welt dem ersten Wettkampf der Saison stellen. Im finnischen Kontiolahti steht endlich wieder der wahnsinnige Wechsel zwischen Sprint und absoluter Konzentration beim Schießen an. Knapp 200 Kilometer nördlich davon hat sich die Nationalmannschaft der Vereinigten Staaten in Vuokatti zum letzten Feinschliff und Stimmungstest versammelt. Eine Geschichte über hohe Erwartungshaltungen, dem Geruch von Wachs und einer Extraportion Motivation.

Die Sonne geht noch lange nicht auf und ein dünner Frost-Film liegt über dem Biathlon-Stadion in Vuokatti. Und doch sieht man niemandem der anwesenden Personen die Anstrengungen der letzten Tage an. Nach fast drei Tagen auf der Autobahn und der Fähre ist die Kolonne mit den mobilen Wachskabinen und kleinen Bussen, randvoll gepackt mit Equipment, Ausrüstung und Bekleidung, im finnischen Ort Vuokatti angekommen. Nicht in mobilen Häusern und riesigen LKW-Trucks, wie die großen Teams aus Deutschland oder Norwegen - für die Zeit des Trainingslagers wurden zwei Container-Räume gemietet. Ein großer Teil der Athletinnen und Athleten ist mit leeren Koffern angereist, denn der Startschuss des Trainingslagers ist auch die offizielle Einkleidung des gesamten Teams. Alphabetisch sortiert nach Namen erhält das Team also heute die Bekleidung, die sie die nächsten Monate tagtäglich begleiten wird. Langlaufbekleidung in den unterschiedlichsten Ausführungen, einen technisch ausgefeilten Racesuit für die zahlreichen Rennen der Saison – und natürlich eine eigene Streetwear-Linie, die dem Team auch in der Reise- & Recovery-Zeit einen einheitlichen Look gibt. Noch bevor die ersten Athletinnen und Athleten zur ersten Trainingseinheit zusammentreffen breitet sich der intensive Geruch von Wachs – mich erinnert er etwas an verbranntes Plastik - aus. Angepasst auf die aktuellen Schneebedingungen und die genaue Wetterlage arbeitet das Team aus Ski-Technikern am perfekten Ski. Was aussieht wie ein einfaches Handwerk, ist in Wahrheit eine Wissenschaft für sich, denn ein guter Ski kann im Wettkampf mehrere Sekunden ausmachen – und damit über Podium oder Platz 4 entscheiden.

Zugegeben, auf dem Podium eines Biathlon-Weltcups war das Team des US Biathlons lange nicht mehr vertreten. Susan Dunklee wurde 2020 sensationell Vizeweltmeisterin, Clare Egan belegte 2019 in Oslo Platz 3. Und doch lassen die Entwicklungen der letzten Jahre aufhorchen. Die größte Aufmerksamkeit galt dem erst 22-jährigen Campbell Wright. Der gebürtige Neuseeländer, der aufgrund seiner amerikanischen Eltern vor zwei Jahren in das Team der Amerikaner wechseln konnte, lieferte sich im vergangenen Jahr nach einem schwierigen Saisonstart zum Finale in Nove Mesto ein packendes Duell mit der Weltspitze des Biathlons – und landete sensationell auf Platz 7. Noch vor seinem Wechsel in die USA gewann Campbell die U23-Weltmeisterschaft – und das als Teil eines Teams, in dem sich Athletinnen und Athleten kleiner Nationen zusammenschließen. Campell nennt das Team – bestehend aus Ländern wie Chile, Brasilien und Neuseeland – liebevoll „The Refugee Team“. Doch als Teil des US Biathlons genießt Campbell den Zugang zu besseren Trainingsbedingungen, einer erleichterten Infrastruktur und vorallem des sehr familiären Umfelds von Trainerstab, Wachstechniker, Athletinnen und Athleten. Denn eines wird einem spätestens in den frühen Morgenstunden in Vuokatti klar – der Weg bis zum sportlichen Erfolg ist nicht nur von Glamour geprägt. Da kommt der Stimmung im Team noch einmal eine neue Bedeutung zu.

Spannende Athletinnen und Athleten bringt auch das Programm „Project X“ hervor. Denn in den USA erfreut sich der klassische Langlauf-Sport – anders als in Deutschland – deutlich größerer Popularität als Biathlon. Zurückzuführen ist das auf die stark subventionierte Einbindung in das amerikanische Bildungssystem. Sportarten, die im College ausgeübt werden, spielen national eine übergeordnete Rolle. Ziel des „Project X“ ist es daher, jungen Langlauf-Talenten mit dem Einstieg in die Welt des Biathlons neue Karrierechancen zu ermöglichen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Margie Freed, die in der vergangenen Saison erstmals zur Waffe griff und am Ende der Saison im IBU-Cup das beste Ergebnis einer US-Amerikanerin einfuhr. Oder Luci Anderson, die erst im Frühjahr 2024 Biathlon für sich entdeckte und nach einem intensiven Trainingslager im Sommer nun das erste Mal im Schnee am Schießstand stehen wird.

Die Bedeutung von Olympia muss vermutlich nicht extra erklärt werden. Aber die Tatsache, dass fast das gesamte Team der Ski-Techniker aus dem Gastgeberland Italien stammt – sie nennen sich „The Wax Cowboys“ - sorgt sicherlich für eine Extraportion Motivation. Auch Armin Auchentaller, National Team Head Coach des US-Biathlon-Teams, blickt mit besonderen Gefühlen den Olympischen Spielen entgegen, denn die Wettkämpfe finden in seiner Südtiroler Heimat Antholz statt. Das Team kennt also die Bedingungen vor Ort bestens. Mir wird im Laufe des Trainingslagers in Vuokatti schnell klar: hier wächst etwas zusammen. Dieses Team möchte sich nicht mit der Rolle des „coolen Underdogs“ zufriedengeben. Denn in einer Sportart, in der nur wenige Zentimeter auf einer Zielscheibe über das Podium entscheiden, scheint vieles möglich zu sein. Und vielleicht liegt es an den Polarlichtern, die abends gelegentlich über Vuokatti leuchten, aber die jungen Talente des Teams sorgen für Hoffnungsschimmer am Biathlon-Himmel der Vereinigten Staaten von Amerika. Let’s go, Team USA!