28. Juli 2022

BETTIS NORTHCAPE 4000 TAGEBUCH

Freud und Leid auf dem Weg zum Nordkap. Was Betti auf ihrer Bike-Packing Tour erlebt, schickt sie uns immer wieder in kurzen Sprachnachrichten.

Freud und Leid auf dem Weg zum Nordkap. Was Betti auf ihrer Bike-Packing Tour erlebt, schickt sie uns immer wieder in kurzen Sprachnachrichten.




Tag 1 - 23.07. Samstag: Rovereto bis Mittenwald | 322 KM | 2700 hm | 15 Std im Sattel

Start in Rovereto bei über 30 Grad um 8:30 morgens. Ich fahre alleine, aber schnell bilden sich kleinere Fahrgemeinschaften, die gemeinsam gegen den krassen Gegenwind kämpfen.

Meinen ersten platten Reifen hab‘ ich bereits nach 50 KM. Zum Glück treffe ich auf radbegeisterte Menschen, die auf dem Weg zum Gardasee sind und mir nicht nur beim Schlauch wechseln helfen, sondern sogar noch ein Stück Kuchen für mich haben.

Gleich gibt es den ersten richtigen Anstieg zu bewältigen: der Reschenpass. Hier treffe ich auf Johannes (@schutzi_johannes) aus Wien. Johannes hab‘ ich schon am Freitag bei der Registrierung getroffen. Zwischen uns harmoniert es sowohl menschlich als auch vom Fahrtempo. Wir fahren gemeinsam weiter.

Ein heftiges Gewitter mit starkem Regen am Abend bringt keine Abkühlung. Es bleibt weiterhin heiß.

Wir fahren heute bis spät in die Nacht hinein und kommen über den Telfser Berg bis nach Mittenwald.

Die erste Nacht verbringen wir im Schutz eines Autohauses.

Tag 2 - 24.07. Sonntag: Mittenwald bis Waldsassen | 400 KM | 3000 hm | 18 Std im Sattel

Start um fünf Uhr im Morgengrauen entlang des Walchensees.

Frühstücks-Stopp- Überraschung in Lenggries durch Sara Hallbauer. Sie hat letztes Jahr den zweiten Platz beim Northcape4000 (@sara_hallpower) belegt und extra einen kleinen Stand mit Leckereien für die NC4K Teilnehmer aufgebaut.

Mein besonderes Highlight: Ab Lengries habe ich Begleitung. Mein Mann Lucas unterstützt mich heute bis Freising.

Wir fahren zum 1. Checkpoint am Münchner Marienplatz und machen eine kurze Pause. Weiter geht‘s über München-Schwabing Richtung Norden. Ein kurzer Stopp beim Maloja Store in der Amalienstrasse muss natürlich sein.

Die Landschaft in Richtung Nürnberg verändert sich. Wir radeln durch Hopfenanbaugebiete, ewig lange Felder. Es ist super heiß und gefühlt kommen wir nicht vorwärts.

Wir fahren bis ca. 2 Uhr nachts und stoppen erst an einer Raststätte kurz vor Waldsassen. Ich bin so erschöpft, dass ich innerhalb von 2 min. einschlafe.

Tag 3 - 25.07. Montag: Waldsassen bis Jüterbog | 350 KM | 14 Std im Sattel

Abfahrt heute gegen 5:30 Uhr. Es geht kurz über die tschechische Grenze bei immer noch sehr heißen Temperaturen.

Die Fahrt durch’s Erzgebirge ist anstrengend. Meinen Schockmoment hab ich in Klingenthal: Ich werde von einer Autofahrerin übersehen und vom Rad gefahren. Trage zum Glück keine Verletzungen davon, aber mein Rad hat es erwischt. Das Schaltwerk und Sattel sind verbogen. Die Jungs, mit denen ich unterwegs bin, sind topp. Einer ist Radmechaniker. Er bekommt mein Rad wieder so hin, dass ich weiterfahren kann. Emotional hat es mich ganz schön mitgenommen, so dass ich einige Zeit brauche, um wieder meinen Rhythmus zu finden.

In Königshain wartet einer meiner Maloja Kollegen am Straßenrand. Das tut richtig gut und motiviert für die nächsten KM.

Wir fahren heute wieder bis lang in die Nacht hinein und kommen gut vorwärts. Bei Jüterbog- ungefähr die halbe Strecke zwischen Leipzig und Berlin - schlagen wir unser Nachtlager auf. Zum Glück haben wir einen kleinen überdachten Unterschlupf gefunden, denn schon wieder geht ein heftiges Gewitter nieder.

Tag 4 - 26.07. Dienstag: Jüterbog bis Rostock und Fährüberfahrt nach Trelleborg (Schweden) | 320 KM | 2000 hm | 14 Std im Sattel

Heute müssen wir Strecke machen, weil wir unbedingt die Fähre nach Trelleborg bekommen wollten. Mein Hinterreifen verliert leider Dichtmittel und ein Stopp im Bike-Shop muss sein.

Nach gut 3 Stunden Fahrzeit sind wir in Berlin und wollen unseren zweiten Stempel beim Checkpoint abholen. Leider sind wir wieder vor den Öffnungszeiten dort. Das obligatorische Bild am Brandenburger Tor darf natürlich nicht fehlen.

Ich fahre ein Stück entlang der Route durch Berlin und finde schließlich einen Bike-Shop (Instagram: pedalummobile). Die Jungs sind superfreundlich und inspizieren meinen Reifen. Dichtmittel wird nachgefüllt und die verbogene Bremsscheibe justiert. Zur Sicherheit nehme ich eine kleine Flasche Dichtmittel mit.

Wieder eine schöne Abwechslung. Meine Freundin Janine aus meinem ehemaligen Racing Team – trifft uns zum Frühstück in Lucy’s Cafè (@lucys.berlin). Zur Abwechslung gibt es endlich mal ein Müsli. Janine begleitet uns noch ein Stück als „Local Guide“ durch Berlin.

Es folgt eine sehr hügelige Weiterfahrt bis nach Roststock mit brutalem Gegenwind

In letzter Sekunde schaffen wir es am Rostocker Hafen, noch einen Platz auf der letzten Fähre um 23:30 zu „erbetteln“, weil uns die verantwortliche Person eigentlich nicht mehr mitnehmen will. Die Überfahrt beschert mir ein komplett zugeschwollenes Auge aufgrund meiner Hausstaub-Allergie.

Tag 5 - 27.07. Mittwoch: Trelleborg bis Alvesta | 240 km | 150 HM | 15 Std im Sattel

Nach einer eher mäßigen Nacht mit wenig Schlaf verlassen wir um 7.00 Uhr ziemlich gerädert die Fähre und befahren zum ersten Mal schwedischen Boden. Es ist frisch. Um die 15°C. Gut für meine geschwollenen Augen. Wir ziehen uns lange Sachen an und fahren weiter in Richtung Malmö. Seit kurz vor Roststock sind wir wieder zu viert. Katta (Katharina), Alex, Johannes und ich – der Zug rollt wieder.

Auf unserer ersten Strecke durch Schweden kommen wir an den typischen roten Schwedenhäusern vorbei, vielen Feldern, Seen und sogar am Ikea Museum in Älmhult. Es regnet zwar nicht lange, dafür aber einmal richtig stark. Wir sind komplett durchnässt und schaffen es heute nur bis Alvesta.

In Malmö treffe ich einen Freund, der extra an die Strecke kommt.

Heute regnet es immer wieder, zwar nie wirklich lange, dafür aber einmal richtig stark.

Hier gestaltet sich die Unterkunftssuche schwierig und wir beschließen, die Gastfreundschaft der Schweden:innen zu testen. Das Klingeln an verschiedenen Haustüren bringt uns nach einigem Zögern den gewünschten Erfolg. Wir dürfen bei einer pakistanischen Familie im Keller neben dem Kunststoff-Weihnachtsbaum übernachten.

Vor dem Schlafengehen bekommen wir sogar noch heißen Tee und kleine Snacks. Da wir heute ungewöhnlich früh ins Bett kommen (ca. 23:30 Uhr), wird der Wecker auf 04:30 Uhr gestellt.

Tag 6 - 28.07. Donnerstag: Alvesta bis Norrköping | 307 KM | 15 Std im Sattel

Ausgeschlafen starten wir gegen 4:00 Uhr. Heute läuft es insgesamt besser. Wir kommen gut vorwärts trotz der hügeligen Strecke.

Ein Schutzbunker dient uns heute als Übernachtungsplatz.

Tag 7 - 29.07. Freitag: Norrköping bis Stockholm und Fährüberfahrt nach Turku (Finnland) | 185 KM | 1.400 Hm | 9 Std im Sattel

Wir starten um 4:30 (es ist bereits hell ?) und möchten heute richtig viele Kilometer schaffen und vor allem die Fähre nach Finnland bekommen. Aber zuerst wartet Stockholm auf uns. Wir treffen außerdem wieder auf Alex (@alex_groehl) und Katharina (@smilingblitzie) und fahren gemeinsam weiter.

Ganz besonders hart heute: wir finden auf einer Strecke von ca. 100 km keine Möglichkeit, etwas zu essen zu kaufen.

Kurz vor Stockholm besorge ich mir eine neue Isomatte, weil meine letzte Nacht Luft verloren hat und es wirklich furchtbar kalt war am Boden. Frieren und schlafen verträgt sich nicht wirklich.

Wir erreichen rechtzeitig und endlich mal zu Öffnungszeiten den 3. Checkpoint in Stockholm und bekommen hier unseren ersten Stempel.

Hab meinen nächsten Platten - glücklicherweise direkt vor einem Bikeshop. Hab also wieder fleissige Helfer.

Die Hiobsbotschaft: Offiziell sind alle Fähren für Freitagabend ausgebucht, aber wir hoffen, dass spontan noch Plätze frei werden. Ansonsten müssen wir Samstag Früh fahren und werden wertvolle Zeit verlieren. Das Glück ist mit den Tüchtigen: wir dürfen einschiffen. Zuvor ist sogar noch Zeit für eine richtig gute Mahlzeit.

Auf der Fähre gibt es dann noch einen kleinen Snack mit sehr viel Schokolade. Von der Fahrt durch die Schären und dem fantastischen Sonnenuntergang bekomme ich nicht wirklich viel mit, weil ich die Gelegenheit nutze, um endlich meine Klamotten zu waschen. Highlight des Abends: eine warme Dusche kurz vor dem Schlafen gehen.

Tag 8 - 30.07. Samstag: Turku bis Alavus | 350 km | 100 hm | 16 Std im Sattel

Wir kommen ausgeschlafen und gestärkt für den “finalen” Sprint zum Nordkapp um 7:30 Uhr in Turku, Finnland an.

Durch die Zeitverschiebung gewinnen wir sogar nochmals eine Stunde.

Die Straßen in Finnland sind ungemütlich, aber zumindest ohne Steigung. Es geht durch unzählige Birkenwälder - die Birke ist der Nationalbaum Finnlands - und vorbei an wunderschönen Seen.

Verpflegungsnachschub finden wir im Supermarkt auf der Strecke.

Unser Nachtlager ist dieses Mal ein kleines “Müllhäuschen” - bis eine Anwohnerin gegen 4:00 Uhr früh ihren Müll entsorgt und droht, die Polizei zu rufen. Johannes kann die Frau beruhigen und wir dürfen weiterschlafen. Bis der nächste “Müllentsorger” kommt.

Tag 9 - 31.07. Sonntag: Alavus bis Liminka | 360 km | 0 hm | 14 Std. im Sattel

Nach dieser unruhigen Nacht mit wenig Schlaf geht es weiter durch die Wälder. Wir passieren kleine finnische Dörfer. Die nie enden wollenden Geraden machen meinen Kopf mürbe. Es ist ziemlich eintönig und die Gefahr, auf dem Rad einzuschlafen, ist enorm. Wir singen Lieder, um uns abzulenken und wach zu halten.

Heute tut mein Hintern besonders weh und ich sehne mich nach dem Ende dieser Etappe.

Eigentlich wollen wir bis Oulu kommen, aber schaffen es nicht ganz. Bei Liminka finden wir auf einem Kinderspielplatz eine kleine Hütte und schlagen darin unser Nachlager auf. Gegen die Kälte und den Dreck versuchen wir uns mit unseren Erste- Hilfe Rettungsdecken zu schützen. Aber es ist furchtbar kalt.

Tag 10 - 01.08. Montag: Liminka bis bis Sodankylä | 380 KM | 16 Std. im Sattel

Mein Schlafsack ist definitiv an seine Grenzen gekommen. Die Kälte und der Schlafmangel zehrt extrem an den Kräften.

Aber mit jedem KM, den wir hinter uns lassen, steigt die Motivation endlich ins Ziel zu kommen. Wir sind zudem eine ganze Woche schneller als ursprünglich geplant.

Heute geht es aber erst einmal zum vierten und letzten Checkpoint, auf den ich mich ganz besonders freue. Den letzten Stempel bekommen wir nämlich beim Weihnachtsmann in Rovaniemi. Leider ist er schon im Feierabend. Also kein Foto und kein Weihnachtswunsch.

Wir stärken uns im Restaurant Three Elves, laden Tracker und Handy auf und überlegen, wie wir am besten weiterfahren. Direkt hier übernachten und in der Früh weiter oder noch 130 km fahren. Wir entscheiden uns für’s Weiterfahren, um das Schönwetterfenster zu nutzen. Vor uns und hinter uns sieht es leider wettertechnisch gar nicht gut aus.

Während die Landschaft hinter Rovaniemi sichtlich karger wird, schaffen wir es bis nach Sodankylä und übernachten zum ersten Mal im Hotel. Draußen zu schlafen ist definitiv zu kalt.

Dunkel wird es jetzt übrigens gar nicht mehr und der „Sonnenuntergang“ mit rosaroten Wolken lässt sich eine ganze Weile bestaunen bis es schließlich heller wird.

Tag 11 + Tag 12 - 02. - 03.08. Dienstag + Mittwoch: Sodankylä bis zum Nordkap | 585 km | 3950 hm | 27 Std. im Sattel

Nach 4 Stunden Schlaf im warmen Hotel sind wir wieder bei Kräften.

Wir wollen es durchziehen bis ins Ziel. Vielleicht mit einer kleinen Schlafpause an der norwegischen Grenze. Da scheint es eine Tankstelle zu geben.

Am Straßenrand begleiten uns immer wieder Rentiere. Ein Einheimischer erzählt uns beim Kaffeestopp, dass es scheinbar mehr Rentiere in Finnland gibt als Einwohner. Das können wir bestätigen.

Das letzte Stück durch Finnland zieht sich ganz schön. Die Straßen sind endlos und öde. Sobald wir anhalten, werden wir von Moskitos aufgefressen.

Mitten im Nirgendwo passiert es dann: auf den letzten Kilometern kurz vor der Grenze muss Johannes das Rennen beenden. Mehrere Speichen an seinem Hinterrad sind gebrochen und machen ein Weiterfahren unmöglich. Es wäre tatsächlich leichter, an scharfe Munition zu kommen, als ein Hinterradspeiche aufzutreiben. Wir müssen ihn schweren Herzens zurücklassen.

Gegen Mitternacht erreichen wir zu Dritt die Grenze zu Norwegen. Die Tankstelle hat natürlich geschlossen, genauso wie das einzige Hotel. Wir sind unfassbar müde, sind aber gezwungen bis ins nächste Dorf weiterzufahren. Dort finden wir eine Bank mit Fußbodenheizung, in der wir uns für 30 min. hinlegen. Wir sind so kaputt.

Aber die Fahrt geht weiter. Auf der Strecke finden wir ein Hotel zum Frühstücken und Aufwärmen.

Für viele Kilometer folgen wir dem wunderschönen Porsangerfjord.

Eine Hürde steht uns aber noch bevor, vor der ich allergrößten Respekt habe: Wir müssen durch mehrere dunkle Tunnel, unter anderem dem Nordkapptunnel 6,8 km lang und 212m unter dem Meeresspiegel, hindurch. Die Tunnel sind kalt, sehr schlecht beleuchtet und feucht, wodurch sich Dunst bildet und wir für Autofahrer noch schlechter zu sehen sind. Ausserdem ist der Anstieg im Nordkapptunnel mit 10% nicht zu unterschätzen.

Es geht alles gut und wir kommen sicher auf der Insel Mageroya an, auf der sich der nördlichste Punkt Europas befindet.

Jetzt sind es noch 48 km und einige Höhenmeter ins Ziel. Wobei die Anstiege eine willkommene Abwechslung sind. Die Landschaft ist atemberaubend schön.

Tag 12: 18:30 Ortszeit: WIR HABEN ES GESCHAFFT. Katha und ich fahren als die ersten beiden Frauen ins Ziel. Oben werden wir mit Sekt empfangen und lassen am nördlichsten Punkt gemeinsam mit Alex und Johannes (der per Autostopp ins Ziel gekommen ist und auf uns gewartet hat) die Korken knallen. Auf uns und auf dieses unglaubliche Abenteuer.

Ich bekomm meine ganz persönliche Überraschung zum Anstoßen serviert: die beste Schokomilch Norwegens (wer mich kennt, weiß, wie sehr ich Schokomilch liebe).

Katha und ich geben noch ein gemeinsames Interview, ergattern diesmal einen Stempel und erhalten unsere Urkunden.

So sehr wir die letzten Tage auf die Zieleinfahrt hingefiebert haben, so traurig und wehmütig sind wir, dass das Abenteuer nun zu Ende ist.

Nach einer mega Portion Nudeln fallen wir in unserem AirBnB ins Bett, bevor es am nächsten Tag mit dem Flieger von Alta über Oslo zurück nachhause geht.